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21. August 2005
Smithers
British Columbia; Kanada Ruth

Archiv Berichte


  Wir pedalieren wieder

Am 6. August verliessen wir Whitehorse per Greyhound-Bus mit dem Ziel Watson Lake, von wo aus wir unsere Veloreise fortsetzen wollten. Horst war guten Mutes, dass er es schaffen würde, wieder per Velo weiterzureisen. Die vom Arzt verordnete Schonzeit von 6 Wochen war vorüber und ein letzter Check im Spital Whitehorse mittels eines Röntgenbildes zeigte, dass der Knochen wohl verheilt ist. Muskeln und Bänder schmerzen Horst aber immer noch sehr und behindern ihn beim Gehen.

In Watson Lake organisierten wir unsere Weiterreise. Den Stuart-Cassiar Hwy (Highway), der im Yukon vom Alaska Hwy abzweigt, planten wir in Angriff zu nehmen, 724 km durch wilde, einsame Natur. Im Tourist Info-Center erkundigten wir uns über die Versorgungs- und Transportmöglichkeiten auf dieser Strecke.

Am Abend vor unserem Start wurden wir von Annelies und Günther, einem Hamburger Rentnerehepaar, zum Nachtessen eingeladen. Sie standen mit ihrem RV (Recreation Vehicle = grosser Wohnwagenbus) auf dem gleichen Campingplatz wie wir. Wir genossen eine feine Camper-Mahlzeit und waren gestärkt für den nächsten Tag.

Für diesen ersten Tag nahmen wir uns nur eine 30 km-Etappe vor, um zu testen, ob Horst überhaupt in der Lage ist, bereits längere Strecken zurückzulegen. Und es klappte. Das hiess, dass wir auch am nächsten Tag wieder weiterradeln konnten. Auch am Abend nach der ersten Etappe erhielten wir von Leuten aus einem RV ein Glas eingelegten Lachs und am nächsten Morgen wurden wir von unseren Zeltnachbarn mit zwei Säcklein Teemischung beschenkt.

Bald stellten wir fest, dass wir uns mit dem Stuart-Cassiar Hwy für den Wiedereinstieg etwas recht Anspruchvolles vorgenommen hatten, täglich legten wir zwischen 85 und 100 km zurück und überwunden zwischen 500 und 1000 Höhenmeter. Dies war wegen der spärlichen Übernachtungs- und Versorgungsmöglichkeiten nötig. Unsere Kondition war auch nicht mehr die beste nach dem langen Unterbruch und die Velos sind ja nicht gerade leicht mit dem ganzen Gepäck. Wir waren jeweils am Abend erledigt und fielen müde in unsere Schlafsäcke. Weil es in dieser Gegend viele Bären gibt, vermieden wir, wo es möglich war, wild zu campen.

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Durch dichte urige Wälder und an idyllischen Seen vorbei führte uns der Cassiar Hwy, 20 % davon über staubigen und ölig-schmierigen Schotter. RV´s überholten uns, ja zum Teil ganze RV-Tour-Karavanen. Es gibt Veranstalter, die RV-Touren organisieren. Und einige dieser RV-Fahrer sind des Fahrens nicht so mächtig, speziell auf den Schotterstrecken bekamen wir es zu spüren. Mit für die Strassenverhältnisse übersetzten Geschwindigkeiten preschten sie an uns vorbei, dass die Steine nur so um und an uns flogen, von den Staubwolken gar nicht zu sprechen. Auch mit den LKW´s erlebten wir diese Situationen, immerhin überholten sie uns aber mit einem grossen Bogen und waren im Grossen und Ganzen rücksichtsvoll. Bei einer Baustelle wurden wir sogar von einem Pilot Car aufgeladen und ca. 8 km bis ans Ende der Baustelle geführt, das fanden wir super, damit blieb uns das Staubschlucken und akrobatische Übungen auf dem Velo erspart.

In einigen Gebieten war nicht zu übersehen, dass sich hier Bären tummeln. Sie markieren die Strassenränder mit ihrem Kot, und Abdrücke von grossen Tatzen waren zu erkennen. Da wurde es uns schon etwas mulmig, und wir steuerten unsere Velos Richtung Mitte der Strasse, um einen etwas besseren Überblick auf beide Strassenränder zu gewinnen. Eine Herausforderung war es auch, herauszufinden, wo wir abends unsere beiden Velotaschen mit Essensinhalt, Kochutensilien und Toilettenartikel bären- und menschensicher verstauen können. Es gab keine Food-Lockers (bärensichere Container), und die dünnen Äste der Bäume waren auch nicht stabil genug, um die Taschen zu halten. So fragten wir Leute, ob wir unsere Taschen in ihrem Wagen deponieren dürften, oder versteckten die Taschen im Waschsalon des Campingplatzes, oder zwischen einem am Boden liegenden dicken Drahtgeflecht, dann unter einem Boot am See, oder in einem bärensicheren Kehrichteimer. Erfinderisch sein ist die Devise, wenn man keinen nächtlichen Besuch erhalten möchte und die Taschen aber auch nicht abhanden kommen sollten. Wäre dem so, ist es nicht mehr so einfach, mit dem Velo unterwegs zu sein, da in dieser Gegend weder ein Outdoor Shop in der Nähe, noch an jeder Ecke ein Lebensmittelgeschäft vorhanden ist. Überflüssige Utensilien führen wir keine mit. Von einer vierköpfigen Amerikaner-Velogruppe erfuhren wir leider, dass verschiedenen Velotourern ihre Taschen und Material auf den Campingplätzen gestohlen worden seien, sie hatten sie in den Bäumen wegen der Bären aufgehängt.

Diverse Campingplätze, an welchen wir vorbeikamen oder übernachteten, liegen an idyllischen Seen. Seeadler kreisten in den Höhen, Loonies (Enten, die spezielle Ruftöne von sich geben) waren in der Stille zu hören, an vielen Biberbauten pedalierten wir vorbei und Fische jagten in der Dämmerung nach Fliegen. Auf den Seen ist es einsam und still, nur ab und zu konnten wir jemanden mit einem Kanu oder Kajak beobachten. In Iskut entschlossen wir uns, einen Ruhetag einzulegen. Lamas spazierten dort an unserem Zelt vorbei und begaben sich auf einen Spaziergang entlang des Seeufers, eine spezielle Szenerie. Sie werden für Touristen-Trips als Gepäckträger eingesetzt. Auf diesem Platz grillten wir das erste Mal grosse Rindssteaks und machten ein Lagerfeuer. Als wir dann später im Zelt lagen, war die Idylle vorbei. Wir glaubten, Tiergeräusche zu hören, dicht an unserem Zelt. Schmatzgeräusche, Plätschern im Wasser, dann zweimal ein Knacken (war das wohl unser kleiner Plastikbehälter mit dem Milchpulver, an welchem sich nun ein Bär genüsslich tut?). Der Atem blieb mir beinahe stehen. Die Nacht war gelaufen, ich brachte kein Auge zu und machte mir Vorwürfe, dass wir Fleisch grillten im Bärengebiet, dabei waren wir doch immer so vorsichtig und achteten besonders darauf, das Fett und alles was riechen könnte zu verbrennen. Am nächsten Tag untersuchten wir unseren Platz nach Spuren, nichts war zu sehen, alles stand an seinem gewohnten Platz, alle Aufregung war umsonst. Wir haben uns selber in etwas hineingesteigert und uns verrückt gemacht. Die Mücken saugten jeweils morgens zur Begrüssung und abends zum Abschied an uns, aber nicht nur einzelne, nein ganze Schwärme.

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Zirka 160 km vor Kitwanga, dem Ende des Cassiar Hwys, zweigt der Hwy nach Stuart (Kanada), einem Bergwerksort und Hyder (Alaska), beinahe eine Geisterstadt, ab. Die eigentliche Attraktion etwas ausserhalb von Hyder ist die Natur. Die Lachse schwimmen im August den Fish Creek hinauf zum Laichen. Bären warten auf diese Leckerbissen und wir konnten drei Grizzlies beim Fischen beobachten. Für uns wäre es eine zweitägige Velotour gewesen hin und zurück zu pedalieren. Wir hatten das Glück, dass wir am Campingplatz in Meziadin Junction von einem Kanadier eingeladen wurden, per Auto am Abend nach Hyder zum Ort des Geschehens zu fahren.

Die Bären gehen mit ihren Speisen verschwenderisch um, sie fressen von den Lachsen nur gerade die Eier und den oberen Teil des Kopfes, weil es dort am meisten Eiweiss und Fett gibt, alles Übrige lassen sie liegen. Es ist brutal dies anzusehen. Tote grosse Lachse liegen überall herum. Wir hungrigen Velofahrer würden uns freuen, wenn wir am Abend einen solchen Fisch vertilgen könnten.

In Meziadin Junction am Campingplatz lernten wir Dale und Male kennen, ein Rentnerpaar aus der Umgebung von Vancouver. Der Sohn des Rangers des Campingplatzes fischte aus dem Meziadin Lake diverse Fische und schenkte sie den beiden zum Abendessen. Wir durften auch teilhaben, sie luden uns zum Essen ein. Mit den beiden verbrachten wir einen schönen Abend am Lagerfeuer mit Gitarrenklängen und Gesang. An diesem Ort waren es nicht mehr die Mücken, die uns zusetzten, Schwärme von Stechfliegen übernahmen die Schicht und wir wurden fast wahnsinnig. Das stärkste Mittel mit dem giftigen Deet half nicht, diese Biester abzuwehren. So blieb uns nichts Anderes übrig, als unsere Mückennetze über den Kopf zu ziehen und aufzupassen, dass keine Haut irgendwo zum Vorschein kam. Dafür erhielten wir ein nervtötendes Surr-Konzert ein paar Millimeter neben den Ohren als Dank.

Bis zum Ende des Stuart-Cassiar Hwys, dem Ort Kitwanga, hatten wir noch 158 km zurückzulegen. Zirka in der Mitte der Strecke sollte es ein Mushroom Village geben, wurde uns gesagt, und dort könnten wir auch Hamburger und Pommes erhalten. Tatsächlich kamen wir an diesem besagten Village an und lasen von weitem ein Schild “Mushroom Buyer”. Es waren ein paar Wohnwagen und Hütten (mit Holzleisten und Plastikfolien zusammengebastelt) zu sehen, und drei ziemlich kuriose Typen sassen an einem Tisch, darunter ein Schäferhund. Hinter ihnen waren Kisten voller geschnittener Pilze zu sehen. Wir fragten, ob wir bei ihnen Pause machen dürften und setzten uns zu ihnen an den Tisch, mit dem Gedanken, dass wir hier hoffentlich etwas zu Essen kaufen können. Auf den ersten Blick sah es aber nicht so aus, als ob es etwas gäbe. Aus einer provisorisch zusammengeschusterten Hütte kam dann noch ein anderer Typ zum Vorschein. Die drei Männer sagten uns, dass in dieser Hütte das Restaurant sei. Wir bestellten Hamburger und Pommes. Inzwischen fuhr ein Campervan mit zwei weiteren kuriosen Typen auf den Platz. Alles machte so den Anschein, als würde da gehandelt, aber nicht nur mit Pilzen, sondern mit speziellen Kräutern ... Jedenfalls verdrückten wir schnell unsere Hamburger und Pommes und verabschiedeten uns. Es war schon bald 17 Uhr und wir wollten unbedingt noch Kitwanga erreichen, das über 60 km entfernt war. Mushroom Village war uns etwas zu suspekt, um dort eine Nacht zu verbringen. Es scheint aber doch eine bekannte Gegend für Pilzsammler zu sein. Überall sahen wir Schilder “Mushroom Buyer”.

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In Kitwanga kamen wir schliesslich müde an, aber glücklich, dass wir den Cassiar Hwy geschafft hatten. Und Horst freute sich sehr darüber, dass es ihm 7 Wochen nach der Operation möglich ist, mit dem Velo solche langen Distanzen zu fahren. Am nächsten Morgen lud uns der Angestellte des Campingplatzes auf eine kleine Rundtour zur naheliegenden Fischschleuse ein. Dort werden von Juli bis Oktober die Lachse gezählt und gemessen, die den Fluss aufwärts schwimmen. Die Resultate werden dem Fischereidepartement gemeldet, um die Lachsbestände zu überprüfen. Dieses Jahr sollen erheblich weniger Fische gezählt worden sein als in der gleichen Zeit in den letzten Jahren. Zurückzuführen sei dies darauf, dass das Wasser im Fluss zu warm sei.

Von Kitwanga fuhren wir am 19. August mit dem Velo auf dem Yellowhead Hwy weiter nach New Hazelton, einer alten Handelsstadt, wo Gitksan-Indianer in mehreren kleinen Reservatsdörfern leben. Die Strasse führte vorwiegend durch Landwirtschaftsgegend, kein Vergleich mehr zum Cassiar Hwy, den wir wild, einsam und verkehrsarm erlebten. Einen grossen Teil der Strecke regnete es. In den Regenkleidern zu fahren ist anstrengend und wir hatten das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. In New Hazelton angekommen, mussten wir noch 7 km weiter hinunter zum Fluss nach Old Hazelton fahren, für uns Velofahrer immer eine Ernüchterung, wenn wir glauben, am Ziel angekommen zu sein, der Campingplatz aber dann noch einige km entfernt ist. Aber zu unserer Überraschung fanden an diesem Wochenende in Old Hazelton gerade die Kulturtage der Indianer statt. Verschiedene Gruppen sangen und tanzten in ihren Stammesgewänden. Und wir als Gäste des Campingplatzes durften gratis am Barbecue teilhaben. Es gab gegrillten Lachs und ein Salatbuffet. Das kam wie gerufen, denn wir hatten schon wieder einen “Bärenhunger”. So ist das Radlerleben voll von Überraschungen, das macht das Ganze immer spannend.

Am nächsten Morgen hiess es dann, die 7 km wieder bergauf zu klettern und weiter die Strasse zum Tagesziel Smithers, wo sich viele Schweizer und deutsche Siedler niedergelassen haben, unter die Räder zu nehmen. In Smithers werden wir eine kurze Rast einlegen und unser Material checken.

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